Der Denunziant im Klassenraum weckt ungute Erinnerungen

„Petzen“ ist ein in Klassenzimmern –  insbesondere bei jüngeren Schüler*innen  -  häufig verwendeter Begriff. Schüler*innen bezeichnen damit eine Tätigkeit, die nicht als fein gilt: Wer einer Autoritätsperson das unerwünschte Verhalten von Mitschüler*innen meldet, macht sich nicht beliebt. Der große Bruder der Petze ist der Denunziant, von dem das geflügelte Wort sagt:
„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“

Zu diskutieren wäre, ob nicht diejenigen, die ihre tatsächliche oder vermeintliche Macht/Autorität nutzen, um zur Denunziation aufzurufen, die größten Lumpen sind.

Nun ist bekannt geworden, dass auch die Bremer AfD (Alternative für Deutschland) ab Januar 2019 ein Beschwerdeportal freischalten will, auf dem Verstöße von Lehrer*innen gegen das Neutralitätsgebot gemeldet werden sollen. Konkreter wird die Hamburger AfD, wenn sie formuliert, sie wolle auf diesem Weg Informationen über Pädagog*innen erhalten, die gegen die Partei „hetzen“.

Kein Wunder, dass die AfD das böse Wort „Denunziation“ vermeidet. Dennoch ruft sie Schüler*innen dazu auf, die  „politische Korrektheit“  von Lehrer*innen im Unterricht zu überwachen und AfD-kritische Äußerungen zu melden. Diese eingeforderte  „politische Korrektheit“  ist jedoch schon bei führenden AfD-Mitgliedern nicht gegeben, wenn sie beispielsweise beim Berliner Holocaust-Mahnmal vom „Denkmal der Schande“ sprechen oder die Nazizeit lediglich als „Vogelschiss“ in der tausendjährigen Geschichte Deutschlands bezeichnen. Geschichtsrevisionismus und unhaltbare Relativierungen millionenfacher Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen und werden im Unterricht nicht unwidersprochen bleiben. Eine Schule, deren Leitbild geprägt ist von wertschätzendem Umgang, Pluralismus und Toleranz, schafft sich selbst ab, wenn sie intolerante Strömungen duldet, die kaum mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen sind. Reflexionsverfahren sind elementarer Teil des Schulleitbildes, um die Zusammenarbeit und Unterrichtsqualität stetig zu steigern. Denunziationen bewirken das  Gegenteil; sie dienen nicht dem sachlichen Diskurs, sondern zerstören Vertrauen und schaffen ein Klima von Einschüchterung.

Wenn Schüler*innen nun das Lehrpersonal im Unterricht  –  und womöglich auch außerhalb des Klassenzimmers  –  überwachen und vermeintliche Abweichungen der AfD melden sollen, so erinnert das unweigerlich an das Denunziantentum autoritärer Staaten wie in Nazi-Deutschland oder in der DDR. Vor allem der NS-Staat baute bei der Ausschaltung politischer Gegner in hohem Maße auf das Denunziantenwesen. Die bereits im März 1934 erlassene „Heimtücke-Verordnung“ wurde im Dezember des selben Jahres in das „Heimtücke-Gesetz“ gegossen, das unter anderem missliebige Äußerungen „über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP“ mit Gefängnis bedrohte. Damit waren dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet. Obwohl nur eine Minderheit der Deutschen sich als Denunzianten betätigte, genügte die von ihr ausgehende Gefahr, um die gesamte Bevölkerung zu terrorisieren. Die galt vor allem auch für den Bereich der Schule, wo Jugendliche und sogar Kinder, ihre Lehrer anzeigen konnten, um missliebige Autoritätspersonen loszuwerden. Zuletzt waren 97% aller Lehrer*innen Mitglieder im NS-Lehrerbund, also gleichgeschaltet. Auch der DDR-Staat baute ein beeindruckendes Spitzelsystem auf: 1989 gab es in der DDR rund 180.000 sog. „informelle Mitarbeiter“ (IM)  –  mehr als 1% der Bevölkerung. Das Ergebnis war ein umfassendes Klima des Misstrauens, das sich auch auf die Schulen auswirkte – letztendlich war ein Großteil der Lehrerschaft linientreu.

Kein Denunziantentum an unserer Schule

Wir werden keine Form des Denunziantentums an unserer Schule dulden. Die Geschichte lehrt uns, dass das, was mit Denunziantentum und Einschüchterungen beginnt, mit der Inhaftierung und Vernichtung in Lagern endet.

Deshalb werden wir auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass unsere Schüler*innen befähigt werden, sich auch über die AfD ein Bild zu machen. Das  werden wir selbstverständlich im Unterricht tun und befinden uns hierbei im Einklang mit dem Beutelsbacher Konsens, Grundgesetz, Bremer Schulgesetz, Schulleitbild  und unserem Anti-Rassismus-Netzwerk.

Wir werden unsere Schüler*innen davon unterrichten, wenn  von Mitgliedern oder Funktionären  -  welcher Partei auch immer  -  rassistische, menschenverachtende, sexistische, geschichtsrevisionistische, antisemitische, anti-islamische oder demokratiefeindliche Aktivitäten ausgehen.

Aus diesem Grunde schließen wir uns den Berliner Kolleg*innen an, die bereits im Oktober 2018  in  einem  offenen Brief an die AfD  ihre „Verfehlungen“ gestanden habenund versprechen darüber hinaus, auch künftig so zu verfahren:

  1. Wir versprechen, auch zukünftig dafür zu sorgen, dass in unserem Unterricht für Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt geworben wird.
  2. Wir versprechen, auch zukünftig die Zeit des Nationalsozialismus nicht als kleinen „Vogelschiss“ der Geschichte zu behandeln, sondern als das, was sie war: Ein verbrecherischer, undemokratischer und zutiefst menschenrechtsverletzender Teil der deutschen Geschichte.
  3. Wir versprechen, dass wir in unserem Unterricht die Position, dass CO2 nicht schädlich sei und der Mensch zur Verhinderung des Klimawandels nichts tun könne und müsse, kritisch hinterfragen und die Schüler*innen bitten werden, nach weiteren Handlungsoptionen zu forschen.
  4. Wir versprechen, sprachliche Tabubrüche von Seiten einer Partei und anderen Menschen als solche im Unterricht zu thematisieren, weil rassistische unddiskriminierende Aussagen als solche in unserem Land benannt werden müssen.
  5. Wir versprechen, dass wir in unserem Unterricht die Schüler*innen zu Differenzierung und Perspektivenvielfalt anstiften werden.
  6. Wir versprechen, dass wir in unserem Unterricht das komplexe Thema der Migration nicht als Erklärung für alle Probleme in Deutschland gelten lassen.
  7. Wir versprechen, im Unterricht darauf hinzuweisen, dass u.a. die AfD hinsichtlich der gleichberechtigten Teilnahme von Frauen in Gesellschaft und Politik noch Förderbedarf besitzt.
  8. Wir versprechen, uns kontinuierlich auf den Artikel 3 des Grundgesetzes, das AGG und die Menschenrechte zu berufen und die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, politischer oder religiöser Überzeugung im Unterricht nicht erlauben werden.
  9. Wir versprechen, dass wir in unserem Unterricht aktiv Produkte der von der AfD bekämpften Medien einsetzen und hinsichtlich ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit untersuchen werden.
  10. Wir versprechen, dass wir in unserem Unterricht offensichtliche Lügen, wissenschaftliche Halbwahrheiten und allgemeine Ungenauigkeiten in Quellen über all die Jahrhunderte analysieren und interpretieren werden.
  11. Wir versprechen zu überlegen, einen Längsschnitt zum Thema „Denunziation in verschiedenen historischen Epochen (Römische Republik – Inquisition im Mittelalter – Nationalsozialismus  –  Deutschland 2018)“ zu entwickeln und dabei der AfD eine herausragende Rolle zuzubilligen.

Quellen:

Berliner Lehrer*innen: Offener Brief an die AfD.
https://bildet-berlin.de/docs/OffenerBriefAfD.pdf ,
zuletzt abgerufen: 25.11.2018

Gemeinsame Stellungnahme von GPJE, DVPB und DVPW-SEKTION zur AfD-Meldeplattform “Neutrale Schulen”.
http://dvpb.de/wp-content/uploads/2018/10/Stellungnahme-GPJE_DVPB_DVPW-Sektion.pdf ,
zuletzt abgerufen: 25.11.2018

   

Bremen, den 28.11.2018
gez. Tobias Weigelt
(Schulleiter und Vorsitzender der Schulkonferenz)