Weser Kurier, 06.11.2017 Eine Chronik des brutalen Scheiterns Die Wanderausstellung „Der Kommunismus in seinem Zeitalter“ gibt Jugendlichen Stoff zum Nachdenken

VON ANKE VELTEN

Utbremen. Eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichwertig und gleichberechtigt sind und in der sämtliche Besitztümer brüderlich und schwesterlich geteilt werden: Wer könnte dagegen wohl Einwände haben? Aber alle Versuche, so etwas auszuprobieren, gingen bisher grandios und oft auch sehr brutal schief. Weil es immer Individuen und Gruppen gab, die, wie es der englische Schriftsteller George Orwell schon 1945 formulierte, sich für „gleicher“ als die anderen hielten.

Warum das so ist, ob es so sein muss, und wieso der Begriff „Kommunismus“ bei vielen Menschen hierzulande als Schimpfwort gilt, mit diesen Fragen können sich die Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums Utbremen zurzeit intensiv auseinandersetzen. Stoff zum Nachdenken gibt ihnen die Ausstellung „Der Kommunismus in seinem Zeitalter“, die zwei Wochen lang im Foyer der Schule an der Meta-Sattler-Straße gastiert. Für Schulleiter Tobias Weigelt ein willkommenes Unterrichtsthema. Denn anders als frühere Generationen haben die Jugendlichen von heute den Aufstieg und Fall des Kommunismus nicht persönlich oder durch die Medien miterlebt, und anders als ihr Schulleiter sind sie nicht im „Kalten Krieg“, mit dem „Eisernen Vorhang“ und der atomaren Bedrohung aufgewachsen.

Ausstellung wandert
Eine Werbeveranstaltung für den Kommunismus ist es jedenfalls nicht. Die CDU-nahe Bremer Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat die Ausstellung nach Bremen geholt. Sie soll in den kommenden Wochen auch durch andere Bremer Schulen wandern. Der Kommunismus habe sich zur größten Massenbewegung des 20. Jahrhunderts entwickelt, konstatierte KAS-Leiter Ralf Altenhof anlässlich der Ausstellungseröffnung. Und er habe sich als gefährliche Ideologie entpuppt, die weltweit geschätzte 100 Millionen Menschen das Leben kostete. Es sei eine „totalitäre Bewegung, die alle Bereiche des Lebens umfassen und kontrollieren will“, so Altenhof. „Das konnte nicht lange gut gehen.“

Warum eine Ideologie, die den Himmel auf Erden verspreche, in der Realität aber die Hölle auf Erden schaffe: Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Armin Pfahl-Traughber schon seit Jahrzehnten. Die KAS hatte den Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und renommierten Extremismus- und Terrorismusforscher als Ausstellungsführer und Diskussionspartner nach Utbremen eingeladen. Die russische Revolution und ihre Folgen hätten gezeigt, dass die Utopie von der kollektiven Arbeit ohne Privateigentum nur mit Gewalt durchsetzbar sei. „Sie entspricht nicht dem realen Bewusstsein“, so Armin Pfahl-Traughber.

Extremismus- und Terrorismusforscher Armin Pfahl-Traughber führte thematisch in die Ausstellung ein und diskutierte mit den Jugendlichen.

Extremismus- und Terrorismusforscher Armin Pfahl-Traughber führte thematisch in die Ausstellung ein und diskutierte mit den Jugendlichen.

Sein Publikum zeigte sich gut informiert, kritisch und diskussionsfreudig. Die Utbremer lenkten das Gespräch auf Formen des Kommunismus in Südamerika und China, auf die Faszination der kommunistischen Ideale auch in der Gegenwart, und fragten, ob es nicht doch denkbar sei, eine kommunistische Gesellschaftsform auf demokratischer Basis zu entwickeln. Der Wissenschaftler ist nicht optimistisch: Eine demokratische Umsetzung kommunistischer Ideale habe es „bisher nie gegeben, hat nie geklappt“, so Pfahl-Traughber. Jedes kommunistische System sei bislang immer daran gescheitert, dass es trotzdem Ungerechtigkeit gab. Und in manchen Fällen sei es nichts anderes gewesen als eine „vorgeschobene Ideologie, um die eigene Macht zu etablieren.“

Die Ausstellung „Der Kommunismus in seinem Zeitalter“ ist eine Chronik in mehr als 200 Texten und historischen Fotos auf 25 Schautafeln. Sie wurde aus Anlass des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution in Russland von dem Frankfurter Historiker Gerd Koenen entwickelt. Koenen, Jahrgang 1944, war in seiner Studienzeit überzeugtes Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) und konzentrierte sich ab 1973 im Kommunistischen Bund Westdeutschland auf die „revolutionäre Betriebsarbeit“. In den 1980er-Jahren erwachte er unter dem Eindruck der polnischen Solidarnosc- Bewegung aus dem, wie er sagt, „Kindertraum vom Kommunismus“ und widmet sich seither wissenschaftlich und journalistisch der Aufarbeitung des Themas: Zuletzt

für seine Geschichte des Kommunismus, die unter dem Titel „Die Farbe Rot“ gerade frisch auf dem Sachbuchmarkt erschienen ist.

Der 16-jährige Merlin aus Schwachhausen schaut sich die Ausstellung im Schulzentrum Utbremen an. FOTOS: ROLAND SCHEITZ

Der 16-jährige Merlin aus Schwachhausen schaut sich die Ausstellung im Schulzentrum Utbremen an.

FOTOS: ROLAND SCHEITZ