Weser Kurier, 20. März 2019 Besuch aus dem Blechdosendorf Der katholische Pfarrer Stefan Hippler hat sich der Aids-Hilfe in Südafrika verschrieben

von Justus Randt

Bremen. Pfarrer Stefan Hippler ist beein- druckt von den verzweigten Ausbildungswegen, die das Schulzentrum Utbremen zu bieten hat. Es trägt unter anderem den Titel Europaschule, und Schulleiter Tobias Weigelt kann dem Besucher nur einen vagen Überblick über die Vielfalt verschaffen, wenn er von Schülern aus 40 Nationen erzählt, die aus mehr als 30 Bildungsgängen wählen können. „Man kann die Schule nicht in drei Sätzen erklären“, sagt Weigelt. Eines ist jedenfalls klar und steht an der Fassade: „Bildung stärkt Menschen!“ Das ist auch Hipplers Überzeugung, und der will er in Südafrika Geltung verschaffen.  Die erste Gruppe,  vor der er spricht, sind Jugendliche, die eine vierjährige vollschulische Assistentenausbildung absolvieren und das Abitur anstreben. Fächerschwerpunkte sind Mathematik und Informatik. „Die Welt, aus der ich komme und in der ich arbeite, ist eine ganz andere“, erzählt der Pfarrer, der Seelsorger in Kapstadts katholischen Kirchengemeinden vertritt und sich vor allem der Aids-Prävention verschrieben hat. Längst nicht jedes Kind geht zur Schule in Südafrika. Erst recht nicht die Kinder aus Blikkiesdorp (Afrikaans für Blechdosendorf). 20 000 Einwohner, schätzt Hippler, leben in dem Township.
Die Stadt Kapstadt hatte die 1800 Wellblechhütten 2007 als Übergangssiedlung errichten lassen, um ein ganzes Quartier umzusiedeln. Jede der Hütten ist 18 Quadratmeter groß und beherbergt laut Hippler fünf bis 15 Personen. Das Versprechen auf den baldigen Umzug in Steinhäuser ist noch immer nicht eingelöst worden. „Vier Hütten teilen sich einen Wasserhahn und eine Toilette.“ Gangs und Drogendealer trieben dort ihr Unwesen, sagt Stefan Hippler und fragt sich und die Jugendlichen: „Wie kriegt man diese Welt in diesen Klassenraum?“ Drei kurze Videosequenzen helfen dabei, einen Eindruck zu vermitteln: Bilder von einem Drohnenflug über Blikkiesdorp, Polizei auf der Suche nach Waffen und Drogen im Nachbar-Township Manenberg, Bewaffnete, die in einer Wohnsiedlung aufeinander schießen – gefilmt aus einem Fenster.
„Viele Zwölf- bis 13-Jährige sind noch nie in der Schule gewesen“, sagt der Pfarrer, „weil sie kein Geld für die Uniform haben. Oder einfach, weil niemand darauf achtet, oder weil die Geburtsurkunde nicht vorliegt.“ Außerdem fehle es an Hygieneartikeln für Mädchen,die deshalb während ihrer Menstruation nicht zur Schule gingen. 50 Prozent schaffen keinen Schulabschluss.
Ursprünglich hat der von Hippler mitgegründete Verein Hope Cape Town, dem heute auch eine Stiftung zur Seite steht, HIV- und Aids-Aufklärung sowie Präventionsarbeit geleistet. Hilfsangebote für Kinder und Babys sind dazugekommen. „Die meisten Mütter sind 15, 16, 17 Jahre alt, viele nehmen Drogen. Wir kümmern uns verstärkt um frühkindliche Entwicklung“, sagt Stefan Hippler. Rund 35 Mitarbeiter hat der Verein inzwischen. „Früher musste jede Medikation gegen die Regierung eingeklagt werden, heute versuchen wir, gute Beispiele zu geben, die als Ideen übernommen werden. Es gibt beispielsweise ein Programm für medizinische Austauschstudenten, wir haben das Modell der Gesundheitsarbeiterinnen installiert, die in allen Kliniken assistieren.“
Weltweit haben 31 bis 43 Millionen Menschen HIV/Aids, schätzt Stefan Hippler, allein 25,8 Millionen von ihnen im Bereich der Subsahara, also südlich der großen Wüste, ein knappes Drittel davon in Südafrika. Dort seien jedoch nur 4,5 Millionen Menschen in Behandlung, täglich gebe es 750 Neuinfektionen, erläuterte der Pfarrer den Jugendlichen die Daten von 2018. Täglich gebe es in Südafrika 320 Todesfälle im Zusammenhang mit HIV/ Aids. „Vor fünf Jahren waren es noch 1000.“

Pfarrer Stefan Hippler aus Kapstadt zu Besuch im Schulzentrum Utbremen.

FOTO: KOCH

Der Geistliche ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in sexualaufklärerischer Mission unterwegs am Kap. Nicht zuletzt die im großen Stil verteilten Kondome und die Demonstration ihrer Anwendung an einem schwarzen Dildo brachten ihn über Kreuz mit der Deutschen Bischofskonferenz. Entsprechend eindeutig fällt seine Antwort auf die Schülerfrage aus, ob denn „die meisten Religionen und Kirchen rückständig“ seien. Über die katholische Kirche sagt er: „Wir hinken rund 100 Jahre hinter der Forschung her. Wenn mein Glaube der Wissenschaft widerspricht, ist irgendwas falsch. Sexualität hat nicht nur mit Fortpflanzung zu tun, sondern mit Bindung. Homosexualität ist normal.“
Südafrika ist auch fast genau 25 Jahre nach Ende der Apartheid das Land mit den größten Einkommensunterschieden weltweit. Zugleich gilt Südafrikas Volkswirtschaft als die am weitesten entwickelte auf dem Kontinent. Eine Delegation der Handelskammer Bremen hatte im vergangenen Jahr zusammen mit Politikern und  Verwaltungsleuten Südafrika bereist und sich von Stefan Hipplers Arbeit begeistern lassen. „Das war äußerst intensiv“, erinnert sich der Pfarrer. Zurück in Bremen, sammelten die Unternehmer mehr als 10 000 Euro an Spenden für Hope Cape Town.
Stefan Hipplers Gegenbesuch führt ihn unter anderem in Bremer Kirchenkreise. „Ich bin immer ein ökumenischer Mensch gewesen, das ist die Zukunft“, sagt er. Unter anderem trifft er Finanzsenatorin Karoline Linnert, die als konkrete Kooperation vorgeschlagen hat, Musikinstrumente für Blikkiesdorp zu beschaffen. Der Anfang ist gemacht.