Weser Kurier, 11. Februar 2019 „Das können Sie sich hier nicht vorstellen“ Martin Schäfer ist der deutsche Botschafter in Südafrika und diskutiert mit Utbremer Europaschülern

von Anke Velten

Utbremen. In den vergangenen Tagen wurde in Bremen außergewöhnlich viel über Südafrika geredet. Das hatte seine Gründe: Die Bremer Schaffer hatten südafrikanische Gäste zu ihrem alljährlichen Mahl eingeladen. Die Europaschule SZ II Utbremen nutzte die Gelegenheit, den deutschen Botschafter in Südafrika, Martin Schäfer, und Bürgermeister Carsten Sieling ins Haus zu bitten. Auf das Gespräch über Südafrika, Bremen und Europa hatten sich die jungen Gesprächspartnerinnen und -partner gut vorbereitet, fragten interessiert nach, und mochten ihre Gäste gar nicht mehr gehen lassen.

„Internationale Politik und Diplomatie“ lautete der Titel der Podiumsdiskussion. Martin Schäfer, der 1967 in Gröpelingen geboren wurde und sich den Jugendlichen als „stolzer Bremer“ vorstellte, ist seit 1996 im Auswärtigen Dienst tätig. Der promovierte Jurist war nach Stationen in der Ukraine und Chile zunächst vier Jahre lang Sprecher der südafrikanischen Botschaft. Zwischen 2011 und 2017 wurde er Sprecher von drei deutschen Außenministern, bevor er vor 15 Monaten in der Position des Botschafters nach Pretoria zurückkehrte.

Es war ein Land der Kontraste, über das der Diplomat den Jugendlichen berichten konnte. Südafrika ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt das reichste Land Afrikas. In den 25 Jahren nach den Wahlen im Jahr 1994, die erstmals allen Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme gaben, sei es gelungen, die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen friedlich zu lösen: Eine besondere Leistung angesichts der Tatsache, dass der 55-Millionen-Einwohner-Staat, der elf offizielle Ländernamen in den elf anerkannten Amtssprachen trägt, eine kulturell und ethnisch diverse „Regenbogennation“ sei. „Die Südafrikaner haben etwas geschafft, was ihnen damals niemand zugetraut hätte“, so Schäfer. Er verglich das Ende von 150 Jahren Apartheid-Regime mit dem deutschen Mauerfall: Es sei „ein Glück, zu erleben, dass Geschichte auch gut ausgehen kann“.

Auf der anderen Seite sei in keinem anderen Land die gesellschaftliche Ungleichheit so groß – belegt durch den „Gini-Koeffizienten“, mit dem Wirtschaftswissenschaftler die Vermögensverteilung in einzelnen Ländern messen. „Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist so groß – das können Sie sich hier in Deutschland gar nicht vorstellen.“ Der größte Teil des Vermögens befinde sich nach wie vor in den Händen der weißen Minderheit. Auf eine Umverteilung, gar Enteignung, hatte die neue Regierung unter Nelson Mandela verzichtet, um den friedlichen Übergang in die Demokratie nicht zu gefährden - ein Deal, den Kritiker dem Präsidenten als Ausverkauf – „Sell Out“ - vorwarfen. Vor allem in den Townships und in ländlichen Regionen gebe es beim Zugang zu Bildung eine „furchtbare Misere. Wenn man am falschen Ort geboren und nicht außergewöhnlich begabt ist, hat man in Südafrika keine Chance, aus seinem Leben etwas zu machen“. Den Bremer Schülern konnte
er versichern: „Sie sind gut dran. In Südafrika würden viele Jugendliche davon träumen.“

Gerüchte, es gebe eine zunehmende Aggression gegenüber den weißen Farmern, gar einen Völkermord, bezeichnete Schäfer auf Nachfrage eines Schülers als „schlicht Unsinn. Das Risiko, in einem Township Opfer einer Gewalttat zu werden, ist dreihundert Mal höher“. Der angehende Fremdsprachenassistent Leon Lüddemann interessierte sich dafür, ob die Situation vergleichbar sei mit China, dessen staatliche Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eine Studiengruppe der Europaschule im vergangenen Jahr selbst erlebt hatte. „Das ist in Südafrika ganz anders. Der Staat will und kann das nicht“, antwortete der Botschafter.

Weil das Wirtschaftswachstum seit Jahren sinke, und die Regierung nicht die Ressourcen habe, umzusetzen, was die südafrikanische Verfassung verspreche, schwinde jedoch das Vertrauen in den Staat in gefährlichem Maße. „Niemand ist sicher, ob das Experiment gelingt“, mahnte Schäfer. Umso wichtiger für das „friedliche Projekt Regenbogennation“ seien internationale Kooperationen und Handelsbeziehungen, um Südafrikas Weg zum demokratischen Rechtsstaat zu unterstützen.

Die Frage, „was können wir leisten, um die Entwicklung in Afrika voranzubringen“ beschäftige auch die Bremer Gastgeber, betonte Carsten Sieling. Viele spannende Kontakte habe man im Rahmen einer zehntägigen Reise geknüpft, die im vergangenen Juni eine 70-köpfige Bremer Delegation von Vertretern aus Wirtschaft, Häfen, Universität und Kultur nach Durban geführt hatte. Im Publikum verfolgte auch die südafrikanische Politikerin Helen Zille die Diskussion. Die Premierministerin der südafrikanischen Provinz Westkap hatte zuvor dem WESER KURIER ein Interview gegeben, in dem sie ganz unverblümt erklärt hatte, wie sie die politische Realität in ihrem Heimatland erlebt: Zille hatte von Korruption, Günstlingswirtschaft, dysfunktionalen staatlichen Unternehmen und mangelnden Kontrollmechanismen berichtet.

Der Schülerschaft des Schulzentrums an der Meta-Sattler-Straße, das wegen seiner vielfältigen Aktivitäten und Angeboten mit europäischen Bezügen das Zertifikat „Europaschule“ tragen darf, legte Martin Schäfer noch seine „wichtigste Botschaft“ ans Herz. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinen Millionen von Toten habe sich der Kontinent zu einem weltoffenen und toleranten Ort entwickelt – „es ist ein Friedensprojekt, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.“ Bei allen aktuellen Problemen sei das ein Geschenk, sagte Martin Schäfer. „Das merkt man vor allem, wenn man nicht mehr hier lebt.“

Bürgermeister Carsten Sieling und der deutsche Botschafter in Südafrika, Martin Schäfer (links), der in Gröpelingen geboren ist. Leon Lüddemann (rechts) fragte nach Sicherheit und Überwachung am Kap der guten Hoffnung.

Gut vorbereitete und interessierte Schüler der Europaschule in Utbremen bekamen Informationen aus erster Hand

FOTOS: ROLAND SCHEITZ