Weser Kurier, 13.03.2017 UMWELT MACHT SCHULE: WAS EMISSIONSHANDEL, MOBILITÄT UND WASSERQUALITÄT FÜR BREMEN BEDEUTEN Vom schwierigen Handel mit Treibhausgasen

Schüler aus Bremen besuchen das Europaparlament in Brüssel. Dort wird über Klimaschutz diskutiert.
FOTO: HANNA PESCHKEN

VON TOMAS SAWAZKY, JASMIN TURHAN, HÉNDRIK BUCHHOLZ, TRACY HAMEN UND HANNAH PESCHKEN

Es ist ein rauer Tag im Winter 2017 in Brüssel. Agnes Brandt, Umweltlobbyistin von Carbon Market Watch, ist auf dem Weg zu einem kleinen Café im Herzen von Belgiens Hauptstadt. Trotz ihrer knappen Zeit trifft sie sich mit einer Schülergruppe aus Bremen. Die jungen Leute wollen sie zu den geplanten Änderungen im Emissionshandel befragen. Die Beschlüsse, die das Europaparlament fasst, betreffen sämtliche Industriebereiche innerhalb der EU – und haben Auswirkungen auf die Preise von Gütern, die Arbeitsplätze und darauf, wie sich die europäische Industrie im globalen Markt behaupten kann. Zum anderen hängt aber auch die Zukunft des Weltklimas davon ab.
Der Emissionshandel ist eine Stellschraube, die schon seit 2005 besteht. Die nun anstehende Reform soll die bereits bestehenden Regelungen verschärfen, denn bekannt ist, dass das alte System nicht die erhoffte Wirkung hatte. Das europäische Emissionsrechtehandelssystem ETS funktioniert nach dem Prinzip des „cap and trade“ – was so viel heißt wie: beschränken und handeln. Einerseits wird die Höhe der Treibhausgasemissionen beschränkt, andererseits können die Zertifikate frei gehandelt werden. Dadurch soll ein ökonomischer Anreiz entstehen, den Ausstoß schädlicher Klimagase dort zu senken, wo es am effizientesten ist. Es gab zu viele freie Zertifikate auf dem Markt, wodurch Industrien ohne Verluste handeln konnten. Die Beschränkung kam zustande: Wie geplant wurde jährlich die Anzahl der Zertifikate überwacht und nahm auch ab. Ein anständiger Handel erfolgte jedoch nie. Das bisherige System muss nun ausgebaut werden. Doch wie, da gehen die Meinungen auseinander.
Etwa bei der jährlichen Reduzierung der Zertifikate: Die Anfang des Jahres beschlossene jährliche Reduzierungsrate um 2,2 Prozent genügt der Industrieseite vollkommen, mehr täte der Industrie in Europa nicht gut, heißt es. Aus Sicht des Umweltausschusses müsse dieser Wert auf 2,4 Prozent erhöht werden, da sonst die Gefahr bestehe, das Pariser Klimaziel von 2050 zu verfehlen, erläutert etwa Agnes Brandt.

Gegenvorschläge aus der Industrie
Es gibt jedoch auch Stimmen, die den Emissionshandel ganz ablehnen. Klaus Hering ist Betriebsratsvorsitzender von ArcelorMittal, den Stahlwerken Bremens. Für ihn ist ein solches System, bei dem der Ausstoß an CO2 durch Innovation verringert werden kann, vor allem für die Industrien nicht sinnvoll umsetzbar. Ein besserer Ansatz wäre, solchen Industrien nicht von Anfang an horrende Preise aufzudrücken, sondern sie anzuregen, in CO2-Umwandlung zu investieren. Das ist aber teuer und hat wirtschaftlich gesehen keinerlei Nutzen.
Zusätzlich zu den Zertifikatpreisen auch noch solche Kosten zu stemmen, sieht Hering als sehr schwierig für sein Unternehmen. Stahl ist ein globales Produkt, das überall in der Welt produziert und gehandelt wird. Wenn sich also beim Bremer Stahl der Preis für eine Tonne erhöht, könnten Käufer auf kostengünstigere Alternativen, etwa Stahl aus Indien oder China,

Schülerinnen und Schüler aus Bremen sprechen mit dem Mitglied des EUUmweltausschusses, Jo Leinen (Dritter von links), über Emissionshandel.
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zurückgreifen. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass dort pro Tonne Stahl mehr CO2 ausgestoßen wird als in Europa. Schlimmstenfalls müssten Stahlwerke schließen, da sie zu viele Verluste machen würden, so die Befürchtung. Diese Gefahr sieht auch Jens Geier. Er ist Mitglied des Industrieausschusses der EU.Das Problem ist als Carbon Leakage, also als Leckage bekannt. Es bezeichnet eine Situation, die eintreten kann, wenn Unternehmen wegen der mit Klimaschutzmaßnahmen verbundenen Kosten ihre Produktion in andere Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagern. Das kann zu einem Anstieg ihrer Gesamtemissionen führen. Die Industrie zu vertreiben, ist nicht Ziel der EU. Es geht vielmehr darum, den globalen CO2- Ausstoß zu senken.
Zwar wird in der EU geplant, mehr freie Zertifikate für Leakage-gefährdete Branchen bereitzustellen, ob dies ausreicht, bleibt mit Skepsis zu erwarten, sagt auch Klaus Hering. Sämtliche europäische Vertreter der Stahlbranche würden es begrüßen, wenn der Emissionshandel global stattfinden würde und somit gleiche Rahmenbedingungen für alle Produzenten geschaffen würden, sagt er. Hierauf werde man aber wohl lange warten. Zwar gibt es derzeit mehrere Emissionshandelsstrukturen auf der Welt, und auch in China plant man, ein solches System einzuführen. Wann der Rest der Welt mitzieht, bleibt indes abzuwarten.

Transportwesen belastet das Klima
Die Frage stellt sich, ob der Emissionshandel das einzige ist, was zugunsten des Klimas unternommen werden muss. So wurde etwa auch darüber diskutiert, ob man für das Verkehrs- und Transportwesen ein ähnliches System entwerfen sollte. Doch dies wurde prompt abgelehnt, was Jo Leinen, Mitglied des Umweltausschusses der EU, bemängelt. Man müsse bedenken, dass das Transportwesen als zweit- bis drittgrößter CO2-Produzent sehr zur Klimabelastung beitrage und daher auch dort ein Anreiz zur CO2-Minimierung von Vorteil wäre.
Klaus Prietzel, Vorsitzender des BUND, ist ähnlicher Ansicht. Man sollte sich nicht allein auf den Emissionshandel verlassen, um die Klimaziele zu erreichen, sagt er. Zu viel hänge davon ab, zu viel sei verloren, sollte das System scheitern.
In der ersten Lesung des EU-Parlaments konnte sich der Umweltausschuss nicht gegen die Industrie durchsetzen. So wurde die Reduzierungsrate von 2,2 Prozent für ausreichend erklärt. Der Vorschlag des Industrieausschusses, maximal 20 Prozent der Gewinne aus einer EHS-Auktion zur Kompensation von indirekten Kosten zu nutzen, wurde angenommen. Nicht zuletzt wurde die Stromerzeugung für Kuppelgase vom Handel ausgenommen. Bleibt zu hoffen, dass in den anstehenden Verhandlungen sowohl dem Klimaschutz als auch dem Schutz von Arbeitsplätzen Rechnung getragen wird.

Emissionshandel
Der Handel mit Verschmutzungsrechten wurde 2005 ins Leben gerufen und soll dazu beitragen, die Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen: eine Minderung der Treibhausgase um 20 Prozent bis 2020 und 40 Prozent bis 2030, jeweils gemessen am Wert von 1990. Für jede Tonne ausgestoßenen Kohlendioxids brauchen Energieversorger und Industrie ein Zertifikat. Dies sollte als Anreiz zum Investieren in saubere Technik dienen. Die meisten Industriebranchen bekommen die Zertifikate unter bestimmten Bedingungen jedoch gratis. Weil zu viele Verschmutzungsrechte auf dem Markt sind, ist der Preis im Keller. Das EU-Parlament hatte sich Mitte Februar unter anderem für eine stärkere Verknappung der Emissions-Zertifikate ausgesprochen. Demnach sollen die Verschmutzungsrechte zwischen 2021 und 2030 um jährlich 2,2 Prozent statt zuletzt 1,74 Prozent schrumpfen. Das geht manchen Umweltorganisationen nicht weit genug. DPA